Editorial Mai/Juni 2016

Veröffentlicht am Samstag, 30. April 2016, 18:21

Sind wir lernfähig?

Alle im Finanz- und Versicherungsdienstleistungssektor tätigen Personen sollten, so meint man, aufgrund der Erfahrungen der letzten Jahre dazu gelernt haben. Doch meine Erlebnisse der vergangenen Wochen zum „Rücktritt bei Lebensversicherungen“ lassen mich leider zweifeln. Statt sich von Sachverstand leiten zu lassen, kochten bei vielen Beteiligten vor allem Emotionen hoch. Was war passiert?

Streitpunkt ist die korrekte Belehrung der Käufer von Lebensversicherungsverträgen gemäß einer EWG Richtlinie aus 1994 bzw. die Konsequenzen bei nicht gesetzeskonformer Durchführung. Entscheidend für die aktuelle Situation zum Thema „Rücktritt“ ist eine OGH Entscheidung vom September 2015 sowie ein EuGH Entscheid aus 2012. Beide Urteile sind der Branche bekannt. Ohne auf die Details hier näher eingehen zu wollen, finde ich insbesondere die Art der Reaktion so mancher KollegInnen bemerkenswert.

Die eine Gruppe sieht eine unverhoffte Chance auf neuerliche Profite. Nach dem Motto: „Sie sind mit der Performance ihrer Polizze nach so vielen Jahren nicht zufrieden? Dann lösen wir die doch einfach auf!“ animieren sie Kunden pauschal, bestehende Verträge zu beenden. Auch Prozessfinanzierer wittern Geschäftschancen und locken Berater mit Provisionsversprechen, damit sie ihnen Zugang zu klagbaren Kundenakten verschaffen. Während die Einen von „leicht“ verdienten riesigen Summen träumen, tun Andere so als ginge sie dieses Thema überhaupt nichts an.

Dass ein Vermittler/Makler immer seriöse Informations- und Aufklärungspflichten hat, für die es auch Abschluss- und Betreuungsprovisionen gab und gibt, scheint so mancher noch nicht verinnerlicht zu haben.

Insbesondere bei Kunden, die Darlehen aufgenommen haben, bei denen die Tilgung aus der kapitalbildenden Versicherung heraus erfolgen soll, kann eine „Vogelstrauß“-Praxis oder auf der anderen Seite eine rein auf eigenen Profit fokussierte Vorgangsweise des verantwortlichen Beraters zum sprichwörtlichen „Schuss ins eigene Knie“ werden.

Im Sinne unserer KundInnen wünsche ich allen, der Beraterschaft, dem Konsumentenschutz und auch den Produktemittenten, dass nach einem schwachen Start bei diesem Thema eine Nachdenkpause einsetzt, der sachgemäßes Handeln folgt. Gemeinsam müssen für alle akzeptable (außergerichtliche) Lösungen erarbeitet werden, damit das beschädigte Vertrauen in den Finanz- und Versicherungsdienstleistungssektor wieder hergestellt wird.

Klaus Schönfelder
Stv. Vorsitzender des Vorstandes

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